
„Den Leuten geht’s zu gut, deshalb verlieren sie den Glauben. Früher, in Zeiten der Not, hatten die Leute ihr Herz noch offen für Gott. Es müsste eine Krise kommen, dann würden sich die Kirchen wieder füllen.“ So oder ähnlich wird zuweilen beklagt, dass sich immer mehr Menschen vom christlichen Glauben abwenden. Ist man da wirklich auf der rich-tigen Spur zur Erklärung für den beklagten Glaubensschwund?
Aufbruchstimmung
Der Dichter Peter Handke meint dazu, wenn der Mangel die Grenze überschreitet zur Not, dann wäre es selbstverständlich anstößig, an ihm etwas Gutes zu finden. Aber solange der Mangel die Fantasie begünstigt, „da kann ich nur sagen: Dessen bedürfen wir alle. Dieser Überfluss, in dem wir leben, bringt überhaupt keine Fantasie mehr zustande. [...] Der Überfluss erzeugt überhaupt keine Vorstellung von Verbundenheit mehr. Oder von Aufbruch. Ja, das ist vielleicht das wichtigste: Es gibt keine Aufbruchstimmung mehr.“ Soweit Peter Handke wörtlich. Er sagt deutlich, dass man Mangel natürlich keinesfalls herbeiführen kann und darf, das wäre Diktatur. Aber er schreibt des Öfteren fast traurig über Menschen, die in ihrer Einfachheit eine weit größere Lebensfreude haben. Kritisch blickt er auf Überfluss, Zurschaustellung von Besitz und Protzen mit Marken, wie er es bei uns erlebt: „Es ist doch wirklich nicht so wunderbar, bei anderen Menschen zu sehen, was die für Kleider anhaben, also Nike oder Adidas, dass man das immerzu lesen muss.“
Meint nicht das auch Jesus mit seinen Worten vom Besitzverzicht? Frei werden für das Wesentliche? Frei werden für die Verbundenheit (ein anderes Wort für Religion)?
Christian Landl ist Diakon und Seelsorger in den Pfarrgemeinden Schörfling, Weyregg und Steinbach am Attersee. sonntag@koopredaktion.at