
Im Rahmen der KirchenBlatt-Serie teilt P. Martin Werlen seine Gedanken zum Advent. Der Schweizer Benediktiner war von 2001 bis 2013 Abt des Klosters Einsiedeln und ist seit August 2020 Propst in der Propstei St. Gerold.
Im Rahmen der KirchenBlatt-Serie teilt P. Martin Werlen seine Gedanken zum Advent. Der Schweizer Benediktiner war von 2001 bis 2013 Abt des Klosters Einsiedeln und ist seit August 2020 Propst in der Propstei St. Gerold.
Mein besonderes Bild für die Adventszeit sind Bahnhöfe. Sie sind tatsächlich Lebensräume. Was ich hier allerdings noch einfügen muss: Nicht jeder Bahnhof gefällt mir. Ich merke gleich, ob die für die Gestaltung verantwortlichen Personen selbst mit der Bahn unterwegs sind oder ob sie beim Thema Bahnfahren nur Bahnhof verstehen. Das mindert die Qualität des Lebensraumes ganz gehörig.
Auf Bahnhöfen begegne ich dem Leben in seiner faszinierenden und manchmal auch erschreckenden Vielfalt in unserer Gesellschaft. Dort treffen sich alle: die Großmutter, der Kindergarten, vereinsamte Menschen, der Familienausflug, alle Kulturen, alle Weltanschauungen, Vereinsamte, Drogendealer, abhängige Menschen. Der Bahnhof ist Ort der Bildung, wo Leute eine Zeitung kaufen und auch lesen. Im Wartsaal sitzen immer wieder Menschen, die sich in ein Buch vertiefen. Hier kaufen viele ein – vom frühen Morgen bis am späten Abend. Prostitution bahnt sich auch auf dem Bahnhof an. Der Alkohol hinterlässt verschiedene Spuren. Hier ist auch ein Haus des Gebetes. Menschen aus dem Judentum, aus dem Christentum und aus dem Islam sind mit Gebetsschnüren anzutreffen. Einzelne versuchen von den Passanten ein paar Euro zu erbetteln. In die Kleidershow aus aller Welt ordnen sich Polizei und Ordnungsdienste in ihren Uniformen gut ein. Viele Bahnhöfe sind auch Orte der Verpflegung. Menschen treffen sich hier und reisen miteinander weiter. Fröhlichkeit und Traurigkeit haben hier ihren Platz. Zielbewusst oder unbeholfen sind Leute auf dem Weg.
„Was aber hat all das nun mit der Adventszeit zu tun?“, mögen sich einige fragen. Sehr viel. Denn mitten in diesem Tun und Treiben auf dem Bahnhof gibt es Leute, die auf jemanden warten. Allerdings: Man muss sie bewusst wahrnehmen. Sie fallen nicht groß auf. Vielleicht höchstens damit, dass sie einen Blumenstrauß in der Hand tragen oder dem Kind auf dem Arm in der Kälte die Vorfreude auf das Eintreffen wachhalten. Sogar der Hund merkt offensichtlich, dass er allen Grund zur Freude hat. Von diesen Menschen und Tieren lasse ich mich in der Haltung der Erwartung gerne anstecken. Ich freue mich mit ihnen. In ihrer Haltung ist eine Spannung. Ihre Augen leuchten. Das ist viel mehr als Abwarten.
Im Tun und Treiben in unserer Zeit gibt es auch Leute, die auf jemanden warten, weil seine Ankunft angesagt ist. „Adventus“ heißt in der lateinischen Sprache das Wort „Ankunft“ in unserer Sprache. Korrekt heißt es: adventus Domini – die Ankunft des Herrn. Darum warten wir. Oder haben wir das tatsächlich verlernt? „Advent“ heißt es überall, aber wer da ankommen soll, das haben wir weitgehend vergessen. Man muss schon aufmerksam schauen, dass man Leute sieht, die in dieser Adventszeit auf jemanden warten. Beim Wort „Advent“ verstehen viele Menschen nur Bahnhof oder dickes Geschäft. Nach Duden könnte die Wendung „Nur Bahnhof verstehen“ daher kommen, „dass jemand, der den Bahnhof als Ausgangspunkt einer Reise im Sinn hat, an nichts anderes mehr denken kann und nicht aufmerksam zuhört.“ Eine andere Vermutung ist, dass für die kriegsmüden Soldaten im Ersten Weltkrieg der Bahnhof zum Symbol des Heimaturlaubes geworden sei. Das tönt eigentlich nicht schlecht: Nur Bahnhof verstehen, weil er so wichtig ist. Auf dem Bahnhof können wir tatsächlich lernen, die Ankunft von Jesus Christus zu erwarten. Das ist schließlich unsere Aufgabe. Mönche und Nonnen sollten hier Vorbilder sein. So ist das „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“ von Silja Walter entstanden, von dem der erste Teil hier abgedruckt ist. In dieser Adventszeit neu lernen zu erwarten: Wenn das geschieht, geschehen auch heute Wunder.
Gedanken von Silja Walter
Jemand muss zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten, unten am Fluss vor der Stadt.
Jemand muss nach dir Ausschau halten, Tag und Nacht.
Wer weiss denn, wann du kommst?
Herr,
jemand muss dich kommen sehen durch die Gitter seines Hauses,
durch die Gitter –
durch die Gitter deiner Worte, deiner Werke,
durch die Gitter der Geschichte, durch die Gittes des Geschehens immer jetzt und heute
in der Welt.