
Ingmar Jochum
„Plötzlich hat mich ein Licht umstrahlt, für nicht einmal eine Millisekunde ging der Himmel auf, und alles war auf einmal ganz anders“, schilderte DDr. Matthias Beck diesen entscheidenden, persönlichen Wendepunkt als Einleitung für seinen Vortrag im Lingenauer Wäldersaal. Dieses Erlebnis wurde noch eindrücklicher, als er ausführte, wie sein Leben mit Mitte 20 ausgesehen hatte. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Pharmaziestudium sollte er die Apotheke seiner Eltern übernehmen. Eine glückliche Beziehung, die Aussicht auf ein Leben in materiellem Wohlstand – alles war plötzlich unerheblich. Dem ersten Impuls, ins Kloster zu gehen, gab er jedoch nicht nach. Stattdessen beendete er sein zweites Studium, dieses Mal in Medizin. Bei den Jesuiten in München absolvierte Beck zudem ein Philosophie- und im Anschluss noch ein Theologiestudium. Neben seinen vielen, teils auch internationalen Funktionen, wie beispielsweise in der „Päpstlichen Akademie für das Leben im Vatikan“, ist er an der Universität Wien als Professor für Moraltheologie/Medizinethik tätig. Matthias Beck wurde 2011 zum Priester geweiht.
„Das Christentum dünstet in Europa aus. Wir müssen darüber Auskunft geben, wer wir Christen sind, um zu verhindern, dass es nicht völlig aus Europa verschwindet“, mahnte er. Beck bezeichnete im Zuge seiner Ausführungen das Christentum als eine heilende, eine Beziehungsreligion. Und stellte ergänzend die Frage: Wer ist dieser Gott, mit dem wir es hier zu tun haben? Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Welt, allen voran der Klimaerwärmung, werde die Frage nach Gott immer relevanter. Und zwar für die Existenz der gesamten Welt und jedes Einzelnen.
Statt des Begriffs „Gott“, dem immer eine gewisse Konnotation beiwohne, verwendet Beck übrigens lieber den Begriff „Der Urgrund des Seins“. In Anlehnung an Thomas von Aquin beschrieb der Hannoveraner die Vorgänge der Naturwissenschaften, die immer weiter und weiter forschen, bis sie irgendwann zu einem letzten Grund gelangen und diesen bezeichnen wir Christ:innen dann schließlich als Gott.
Um diesen Gedanken zu verdeutlichen, zog Beck einen Verweis auf die Dreifaltigkeit: Der Urgrund des Seins ist der Vater, der selbe göttliche Grund in mir ist der (Heilige) Geist ohne den wir Gott gar nicht erkennen könnten. Und der selbe göttliche Grund zwischen uns ist Jesus Christus.
Weiters schilderte Beck wie vor rund 3500 Jahren dann der große Umbruch erfolgte: Dieser Urgrund des Seins, nach dem die Menschen immer gesucht hatten, fängt an, sich zu zeigen: Gott selbst sagt von sich, dass es ihn gibt. Und zwar als Mose am Dornbusch fragte: „Wer ist da?“ Und die Antwort erhielt: „Sag meinem Volk ich bin der, der da ist.“ Gott gibt sich zu erkennen, wissend dass der Mensch diese Botschaft benötigt, um zu erfahren, dass es ihn gibt. Er muss sich also „offenbaren“. Laut Altem Testament, zeigt er sich den Menschen, er spricht zu ihnen, führt das Volk aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit und gibt ihnen die zehn Gebote, die Grundlagen der Ethik.
Seine Ausführungen zur christlichen Spiritualität eröffnete Beck mit der Geschichte von Jesus, der sich der Stille der Wüste aussetzte, bevor er öffentlich auftrat. Dort begegnet er seinem Vater und auch dem Versucher. Christentum ist laut Beck in erster Linie Selbsterfahrung. Das zeigt uns Jesus, er geht in die Wüste, um sich selbst kennenzulernen, seine Ängste, Einsamkeit und am Schluss, eben die Versuchung. „Wenn wir wissen wollen, wie das Christentum funktioniert, müssen wir auf Jesus Christus schauen.
„Glauben Sie an Gott?
„Nein.“
„Ich weiß, dass es ihn gibt, ich bin ihm begegnet.“
Wir reden viel zu viel über die Kirche und die Struktur und zu wenig über die Beziehung zu Jesus Christus, denn die macht uns aus“, so Beck und erklärte weiter: „Seine Aufgabe wiederum ist den Willen des Vaters umzusetzen. Und alles was für Jesus gilt, gilt auch für uns.“ Und wie bei ihm sei uns ebenfalls etwas Menschliches und etwas Göttliches inne, wenn auch in abgeschwächter Form.
Die Aufgabe des Christen ist immer wieder neu den Willen Gottes in sich wahrzunehmen und ihm zu folgen. Dafür müsse man wach werden und wachsam sein, damit man die leise Stimme Gottes nicht überhört, bei all den anderen Stimmen, die wir in dieser lauten Welt überall vernehmen. Also die Frage: „Wer bin ich eigentlich?“, kann ich nur durch die Hilfe Gottes beantworten. Das bedeutet aber nicht, dass wir fremdbestimmt sind, ganz im Gegenteil, überall dort wo ich Gottes Willen erfülle, finde ich meine innere Identität und Bestimmung. Und weil jeder Mensch anders ist, spricht Gott mit jedem auf eine unterschiedliche Weise. Er hat zu jedem eine ganz individuelle Beziehung. „Gott und Ich“, das ist die zentrale Botschaft, so Beck in seinem Vortrag.
Das Wesen Gottes ist, dass er immer in mir wirkt, er ist (Wirk-)lichkeit. Die Frage ist, ob der Mensch sich diesem Wirken zuwendet und ob er lernt, dieses zu verstehen. Gottes leise, sanfte Stimme kann man in sich hören lernen. Am besten funktioniert dies in der Stille, im Schweigen. Beispielsweise in Exerzitien. Ignatius von Loyola sagt dazu: „Immer dort wo ich mit der göttlichen Stimme in Übereinstimmung bin, entsteht ein großer innerer Friede und große Freude.“ Beck ergänzte: Wo ich dem göttlichen Geist folge, stehen die Ampeln auf Grün, ich treffe zur richtigen Zeit die richtigen Menschen, die mir weiterhelfen. Und das Leben verläuft in den richtigen Bahnen.
Auf die Frage: „Glauben Sie an Gott“, antworte Beck einmal in einem Interview mit „Nein.“ „Ich weiß, dass es ihn gibt, ich bin ihm begegnet.“ Und: Gott ist immer da, er kann gar nicht anders. Aber er drängt sich nicht auf, er will gebeten werden, hereinzukommen. Das ist der Sinn von Gebeten. Hier kann man ihn hören, seiner Stimme folgen. Und dann stellt sich Frieden ein und Freude.
Der streitbare Pharmazeut, Mediziner und Moraltheologe Matthias Beck schreibt eindrücklich über seine persönliche Gotteserfahrung.
Gott finden. Wie geht das?
Styria Verlag, 2020.
Sprache: Deutsch.
Buch mit 176 Seiten | 22 €