
Sie haben sich intensiv mit Papst Franziskus beschäftigt. Welche seiner Verdienste werden am prägendsten sein?
Andreas R. Batlogg: Es ist zu früh, dieses Pontifikat historisch auszuwerten. Aus meiner Sicht hat Franziskus aber die Kirche wieder jesuanischer gemacht. Er hat immer wieder davor gewarnt, dass die Kirche nicht um sich selber kreisen darf, nicht in innerkirchlichen Binnenthemen stecken bleiben soll. Er hat sich entschieden gegen Klerikalismus, auch gegen den Klerikalismus von Laien, gewandt. Das innerkirchliche Klein-Klein: Das hat ihn weniger interessiert. Er ist vermehrt große Themen angegangen: Weltreligionen, Klima, Weltfrieden. Denken Sie an das Dokument von Abu Dhabi 2019, an die Enzyklika „Laudato sí“ von 2015 oder an seine Friedensinitiativen. Er hat oft polarisiert, zugespitzt, dabei auch verletzt. Seine Spontaneität und Direktheit haben angeeckt. Marco Politi sprach sogar, zu martialisch für meinen Geschmack, von einem „Bürgerkrieg“ in der Kirche. Franziskus hat den Apparat, sprich: die Kurie, oft links gelassen und ihr mit seiner Weihnachtsansprache von 2014 einen Spiegel vorgehalten, indem er ihr 15 Krankheiten, darunter geistlichen Alzheimer, attestierte. Das Erbe, das ihn überdauert, ist das Projekt Synodalität. Wir sind dabei, eine synodale Kultur in der Kirche zu etablieren. Das dauert. Es gibt nach wie vor Widerstand dagegen. Synodalität meint einen Stil, eine Haltung, keine Strategie oder Taktik. Es geht um ein neues Miteinander in der Kirche, um echte und wirksame Beteiligung. Leo XIV. führt das weiter.
Wie haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit ein ganzes Buch über den neuen Papst Leo XIV. zu verfassen?
Batlogg: Für das ZDF war ich seit 5. Mai in Rom, um das Konklave zu kommentieren. Ich hatte schon länger für den Verlag Herder an einem Rückblick auf Franziskus gearbeitet. Dann kam der Anruf aus Freiburg: Wir sollen die erste deutschsprachige Papst-Biografie haben! Ein Team hat mir zugearbeitet. Es war Stress pur. Ich bin an sich kein Sprinter beim Schreiben. Die eine Hälfte besteht aus einem Rückblick auf das Pontifikat von Franziskus und was daraus folgt. Ich vertrete die These von Antonio Spadaro: ein Pontifikat der Aussaat, nicht der Ernte. Er hat viele Dinge auf den Weg gebracht, die der neue Papst jetzt, auf seine Art, mit seinem Stil, aufgreifen und weiterführen wird. Ein Buch, das in zwei Wochen entsteht, ist auch fehleranfällig. Über manchen Spott habe ich mich geärgert, weil das Herumreiten auf offensichtlichen Fehlern kleinkariert ist. Heribert Prantl, einer der prominenten Publizisten Deutschlands, der der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung angehörte, meinte in seinem Blog: „Es ist ein eiliges, ein sehr eiliges Buch, das aber trotz der Schnelligkeit einige Substanz hat.“ Der erste Teil stimmt, der zweite Teil ist ein Ritterschlag.
Waren Sie überrascht, als der Name Robert Francis Prevost verkündet wurde?
Batlogg: Der Name kursierte schon im Vorfeld. Aber ich habe nicht mit Prevost gerechnet. Die Italiener wollten unbedingt einen Italiener. Viele setzten auf Pietro Parolin, den Kardinalstaatssekretär, andere auf Matteo Zuppi, den Erzbischof von Bologna oder Pierbattista Pizzaballa, den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Manche sahen den Filipino Luis Antonio Tagle, der lange als Kronprinz von Franziskus galt, als neuen Papst. Ein US-Amerikaner schien bis zum 8. Mai 2025 denkunmöglich. Aber so ist es gekommen. Ein Augustiner, ein Amerikaner, der auch die peruanische Staatsbürgerschaft hat, einer, der Seelsorger und Missionar war, Provinzial und Generalprior, Bischof in Peru und schließlich Präfekt eines vatikanischen Dikasteriums.
Sie haben Papst Leo getroffen. Wie waren ihre Eindrücke?
Batlogg: Es waren nur zwei, drei Minuten nach der Generalaudienz am 28. Mai. „Baciamano“ nennt sich das. Manuel Herder hat ihm das Buch übergeben. Wir haben uns kurz begrüßt. Dabei habe ich ihm gesagt: Ich bete für Sie! Für 18 Stunden in Rom habe ich zwei Bahnfahrten von Villach über Venedig nach Rom gemacht, da ich seit Mitte Mai eine Sabbatzeit in Kärnten verbrachte. Die Wochen zwischen 5. Mai und 28. Mai vergingen wie im Flug. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht umgekippt bin.
Sie verfassen Texte über Papst Leo in Form eines Blogs. Können Sie ein wenig erläutern, worum es sich hierbei handelt?
Batlogg: Ich mache auf Äußerungen des Papstes aufmerksam, wie schon in meinem Franziskus-Blog, ich kommentiere und analysiere sie. Welche Schuhe der Papst trägt, ob er in den Apostolischen Palast zieht oder Ferien in Castel Gandolfo macht, anders als sein Vorgänger: Das sind sehr oberflächliche Dinge. Natürlich sind Zeichen wichtig. Aber es kommt auf anderes an: Welche Themen hat der Papst? Welche Initiativen ergreift er? Leo heißt Leo, nicht Franziskus II. Er kopiert seinen Vorgänger nicht. Das wäre lächerlich. Aber ohne Franziskus gäbe es Leo nicht. Er hat ihn 2023 zum Kardinal gemacht und aus Peru, wo er Bischof von Chiclayo war, an die Kurie geholt.
Können Sie ein wenig über den Inhalt des Buches verraten?
Batlogg: Es bietet keine ausgereifte Biografie. Solche Bücher wird es in ein, zwei Jahren geben. Ich schaue auf die Jahre von 2013 bis 2025 zurück und verorte den neuen Papst theologisch. Seine bisherige Laufbahn, seine Lebens- wie seine Berufserfahrung spricht für ihn. Ein erstaunliches Portfolio. Als promovierter Kirchenrechtler weiß Leo, wie wichtig es ist, Reformimpulse zu verstetigen, ihnen eine kanonistische Struktur zu geben.
Was dürfen sich die Besucher:innen von Ihrer Buchpräsentation in Hohenems erwarten?
Batlogg: Beobachtungen und Einschätzungen zum Konklave und den ersten Wochen des neuen Papstes. Steht uns ein Pontifikat der Langeweile bevor, wie jemand meinte? Da bin ich entschieden anderer Ansicht. Aber in den ersten Monaten konnte man schon den Eindruck haben: Leo will es allen recht machen. Von daher: Wann zeigt der Löwe Zähne? Um die Frauenfrage kommt er nicht herum.
Haben Sie noch Bezug zur alten Heimat?
Batlogg: Aber sicher. Nur werde ich jetzt seltener kommen. Meine Mama ist 87 und hat vor zwei Jahren eine Lungenembolie überlebt. Meine jüngere Schwester kümmert sich sehr um sie. Von München aus, wo ich 25 Jahre lebte, waren es zwei Stunden nach Bregenz mit dem Zug, von Wien aus dauert es dreimal so lang. Deswegen habe ich im August drei Wochen in Bregenz verbracht, als Teil meiner Sabbatzeit. Nach meiner Priesterweihe (1993) war ich in den Ferien und zu Weihnachten und Ostern drei Jahre lang in Schnepfau aushilfsweise tätig, dann über zehn Jahre in Andelsbuch bei einem Studienfreund. Aber das ist auch schon wieder 15 Jahre her. Wenn ich am Grab meines Vaters stehe, den ich in der ersten Corona-Woche im März 2020 begraben habe, im selben liegt meine 1980 verstorbene Schwester, merke ich: Auch ich könnte schon tot sein. Ich habe 2017/18 Krebs überlebt. Aber mein Grab wird einmal wohl in Wien sein, nicht in Vorarlberg.
Ingmar Jochum
Papst Leo XIV. – Der neue Papst. Lesung mit Andreas Batlogg SJ am Dienstag, 26. August, 19 Uhr, im Pfarrsaal St. Karl in Hohenems, mit anschließendem Podiumsgespräch. Der Eintritt ist frei.